Messerattacken abwehren

21 Jun 2024 6 min read No comments Interviews
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Es ist sehr schwer, Messerangriffe abzuwehren

Messerattacken abwehren – Der Sicherheitsexperte Timo Lichtsteiner nennt die Fakten zu Messerattacken, obwohl ursprünglich geplant ware, über die Aktivitäten der Phönix GmbH zu berichten. Doch das tragische Ereignis in Mannheim, die Messerattacke von Mannheim, veranlasste uns, eine Kursänderung vorzunehmen und dieses Geschehnis zu thematisieren. Herr Lichtsteiner hat sich freundlicherweise bereit erklärt, der Änderung spontan zuzustimmen. Die ernüchternde Realität ist, dass insbesondere Messerattacken äußerst schwer abzuwehren sind. Ein Lichtblick aber ist, dass man anderen Gefahren gegenüber durchaus Abwehrmöglichkeiten hat.

Der Sicherheitsexperte und Instruktor Timo Lichtsteiner, Mitinhaber der Sicherheitsfirma Phönix GmbH in Luzern und des Schulungszentrums ISAL erklärt, wieso die Abwehr von Messerattacken selbst für Profis eine der grössten Herausforderungen in der Abwehr von Angriffen auf Leib und Leben ist.

Timo Lichtsteiner Sicherheitsexperte und Instruktor erklärt die Messerattacke von Mannheim

Pro Sicherheit:
In Mannheim wurde ein Polizist zunächst schwer verletzt und verstarb einige Zeit später. Der Angreifer war mit einem Messer bewaffnet. Daher zunächst die Frage: Was kann ich als Durchschnittsbürger tun, wenn ich angegriffen werde und der Täter mit einem Messer bewaffnet ist, oder wenn ich als Passant Zeuge eines Angriffs werde?

Timo Lichtsteiner:
Nun, es gibt viele Videos in den sozialen Netzwerken und auf YouTube. In diesen sieht man einen Angreifer mit Messer und eine Person, die scheinbar mühelos den Angriff abwehrt und den Täter entwaffnet. Aber so funktioniert es definitiv nicht. Wenn jemand nicht Mitglied einer Spezialeinheit ist, sei es bei der Polizei, dem Militär oder ein anderer, speziell ausgebildeter Sicherheitsbediensteter ist, ist es äußerst schwierig, eine solche Situation zu meistern. Diese Leute werden speziell für dieses Szenario, den Angriff mit einem Messer, trainiert. Ich betone trainiert, denn die Abläufe der Abwehr einer Messerattacke müssen immer und immer wieder geübt werden. Es tut mir leid, aber ein Zivilist hat leider fast keine Chance.

Die Abwehr von Messerangriffen ist schwierig

Das Problem der Abwehr von Messerattacken beinhaltet zwei wesentliche Aspekte: Zunächst muss ich den psychologischen Schock überwinden, der eintritt, sobald ich die Situation realisiere: Angriff mit einem Messer! Weiterhin ist der Arm ein Problem. Ich komme nicht nah genug, um den Täter zu fixieren. Er hat den Arm, die Hand, und darin hält er das Messer. Er schwenkt es hin und her, und ich habe keine Chance, in seine Nähe zu kommen.

Pro Sicherheit:
Viele Leser werden sich fragen, ob eine Abwehr mit einer Schusswaffe nicht ein probates Mittel der Verteidigung ist.

Timo Lichtsteiner:
Das ist nicht so einfach. Wenn ich eine Angriffssituation mit einem Messer erkenne, muss der Angreifer noch mindestens 8 Meter entfernt sein, damit ich als Waffenträger Zeit habe, die Waffe zu ziehen und schussbereit zu machen. Doch sobald der Täter so nahe ist, bleibt mir oft nur ein ungezielter Notschuss. Was dieser Schuss bewirken wird, ist ungewiss; er kann auch keine Wirkung zeigen.

Einsatz von Schusswaffen gegen Messerangriffe ist unrealistisch

Abgesehen davon ist es eine Tatsache, dass für das Tragen einer Waffe in der Öffentlichkeit ein Waffentragschein erforderlich ist, der nur unter strengen Auflagen ausgestellt wird. Praktisch kein Zivilist trägt berechtigterweise eine Schusswaffe bei sich. Das Szenario mit der Schusswaffe entspricht daher nicht der Realität..

Pro Sicherheit:
Aber gerade die von Ihnen erwähnten Zivilisten werden ja am häufigsten angegriffen!

Timo Lichtsteiner;
Ja, das stimmt. Es ist für einen mit einem Messer angegriffenen Zivilisten eine sehr schwierige Situation. Er muss großes Glück haben, um nach einem solchen Angriff unverletzt zu bleiben.

Schnittschutzwesten – Wirkungslos bei brutalen Stichen

Pro Sicherheit:
Sind Schnittschutzshirts wirksam?

Timo Lichtsteiner;
Wir haben das getestet. Gegen Schnitte sind sie teilweise wirksam, aber nicht gegen Stiche. Einem brutalen Stich, wie es in Mannheim der Fall war, hält das Material nicht stand. Um solchen Stichen standzuhalten, müsste das Material dicker sein, es müsste eine Art Weste sein. Im Sicherheitsdienst benutzen wir Schnittschutzhandschuhe. Aber wie der Name schon sagt, sie werden zur Vermeidung von Schnitten getragen und dienen eigentlich dem Zweck, die Klinge des Messers zu erfassen und den Angreifer zu entwaffnen.

Pro Sicherheit:
Sie sind in der Sicherheitsbranche bestens vernetzt. Was sagen Ihre Berufskollegen zu den zunehmenden Angriffen, bei denen die Täter mit einem Messer oder gar einer Machete bewaffnet sind?

Timo Lichtsteiner;
Nun, das sehen wir mit Besorgnis. Einerseits geht es um die Sicherheit im öffentlichen Raum. Hinzu kommt, dass meine Mitarbeiter und die Mitarbeiter meiner Berufskollegen gefährdet sind. Da ich selbst oft an Einsätzen teilnehme, betrifft es mich persönlich. Bei einem letzten Austausch unter Berufskollegen habe ich empfohlen, Stichschutzwesten zu nutzen. Diese Westen sind stabiler und halten auch Stichen stand. Solche Westen werden auch von der Schutz und Rettung in Zürich, vor allem bei Nachteinsätzen, genutzt.

Pro Sicherheit:
Wir haben jetzt abweichend von unserem ursprünglichen Plan, aus gegebenem Anlass ausführlich über die Messerattacke von Mannheim gesprochen. Ein tragischer Vorfall, der die Gefährlichkeit von Gewalttätern aufzeigt und auch erkennbar macht, wie schwierig es ist, eine Situation richtig einzuschätzen. Kommen wir jetzt aber doch noch ein wenig auf Ihre Tätigkeit als Sicherheitsunternehmer und Ausbilder zurück.

Beginnen wir mit der ISAL. Das ist die Abkürzung für: Interkantonale Sicherheitsausbildung Luzern. Sie sind Mitinhaber der Firma und bieten dort in Zusammenarbeit mit Partnerunternehmen Sicherheitskurse an. Welche Kurse sind das und an wen richtet sich Ihr Angebot?

Timo Lichtsteiner
Wir schulen zukünftige Mitarbeiter oder Personen, die eine Karriere in der Sicherheitsbranche anstreben. Daneben zählen wir Privatpersonen zu unseren Kunden, die selbst aktiv etwas für mehr persönliche Sicherheit tun möchten. Das Angebot wird rege genutzt.

Pro Sicherheit:
Auf der Internetseite der ISAL bieten Sie den Grundkurs Sicherheitsdienst, den Grundkurs Verkehrsdienst sowie den Grundkurs Schießen und den Kurs Vorbereitung Waffentragprüfung an. Können Sie diese Kurse kurz erläutern und ist das aufgeführte Angebot abschließend?

Timo Lichtsteiner
Nein, wir bieten auch die sehr beliebten Kurse für Selbstverteidigung zusammen mit unserer Partnerfirma an und einen Kurs für den Gebrauch von Pfefferspray. Der Kurs Selbstverteidigung umfasst Elemente aus verschiedenen Kampfsportarten. Dabei ist es uns wichtig, allgemein und einfach anwendbare Methoden zu vermitteln.

Auch der Kurs für die effektive Nutzung eines Pfeffersprays ist zurecht beliebt. Denn den Pfefferspray wende ich in der Regel in einer Stresssituation an. Die Kunst liegt also nicht darin, zu wissen, wo ich „drücken muss“, sondern wir bringen den Kursteilnehmern bei, das Gerät auch unter Stress richtig einzusetzen.

Diese beiden Angebote werden hauptsächlich von Privatpersonen genutzt. Oft sind es Mutter und Tochter, aber auch Paare und Gruppen. Auch Einzelunterricht bieten wir an. Die anderen genannten Angebote werden ausführlich auf der Internetseite der ISAL beschrieben.

Pro Sicherheit:
Sprechen wir noch über die fast alltäglichen Gefahren. Was sind die häufigsten Bedrohungen, von denen Sie Kenntnis haben?

Timo Lichtsteiner
Das ist die Androhung von Gewalt, also meist die Androhung von Schlägen. Das kommt sehr häufig vor, in allen gesellschaftlichen Schichten. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen Hinweis geben.

Es ist sehr wichtig, wie man sich speziell im öffentlichen Raum bewegt. Ich nenne das Stichwort Selbstvertrauen. Studien zeigen, dass ein selbstsicheres Auftreten das Risiko, Opfer von Gewalt zu werden, verringern kann. Ein selbstbewusster Gang, Blickkontakt und eine aufrechte Körperhaltung signalisieren potenziellen Angreifern, dass man aufmerksam und wehrhaft ist. Diese nonverbalen Signale können abschreckend wirken und dazu beitragen, dass man unbehelligt bleibt.

Es ist entscheidend, sich bewusst zu machen, dass man nicht nur seine Umgebung wahrnimmt, sondern auch selbst wahrgenommen wird. Ein selbstsicheres Auftreten kann dazu beitragen, dass potenzielle Angreifer einen als weniger leichtes Ziel einschätzen. Ein Selbstverteidigungskurs oder der Beitritt in einen Kampfsportverein können das Selbstbewusstsein stärken und sich positiv auf das eigene Auftreten auswirken.

Pro Sicherheit:
Das ist eine tolle Erkenntnis die vielen Menschen Anlass geben sollte, aktiv zu werden und konstruktive Massnahmen zu ergreifen. Es ist schön, dass wir am Schluss unseres Gesprächs unseren Lesern auch berechtigten Mut machen dürfen.

Herr Lichtsteiner, besten Dank für die wertvollen Informationen die Sie uns geben konnten.

Andreas Foellmi
Author: Andreas Foellmi

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